Dr. Georg Feldmann
Psychotherapeut. Coach.

Willkommen auf meinem BLOG "Feelin' Good & Feldmann"
Hier vertiefe ich einzelne Themen und Gedanken, die mir wichtig sind. Ich freue mich auf Ihr Feedback!

2023-03-05

Harte Zeiten! Hilft Philosophie? Wie erlangen wir Weisheit fürs Leben?

Moderne, digitalisierte Zeiten bringen ein Problem mit sich: Wir lagern unser Leben und unsere Intelligenz immer mehr ans Internet aus. Ich will hier nicht über ChatGPT sprechen; Google reicht: Niemand sonst auf der Welt weiß mehr über die Art und Weise, wie wir suchen. Und was wir suchen. Unser Denken - und unsere Kommunikationsfähigkeit - wird dadurch beeinträchtigt. Wir sollten uns wieder auf unseren eigenen Verstand verlassen. Und auf altes Wissen besinnen, das uns erdet.

Dieses alte Wissen, wenn man es genauer betrachtet, ist vielleicht alt, aber AKTUELL. Ein paar Bücher während der Semesterferien haben meine Gedanken aufgefrischt: Konrad Paul Liessmann („Denken und Leben“) sowie Robert Pfaller („Zwei Enthüllungen über die Scham“). Das ist mal ein guter, Philosophie-bezogener Anfang. Zufällig bin ich auch über eine Klientin wieder auf das Konzept der Weisheit von Michael Linden aufmerksam geworden. Als Viel-Leser stellt man in Folge automatisch Zusammenhänge her zwischen den Büchern, die man gerade liest. Und in diesem Fall denkt man sich: Kann uns Philosophie helfen? Gerade in Zeiten, in denen alles im Umbruch ist - Wandel und Krisen ständige Begleiter unseres Lebens sind?

Meine Antwort: Ja, unbedingt!
Hier ein paar Einsichten über Philosophie, Weisheit und das Denken (und Fühlen) an sich. 

1_ Erstaunlich, wie sich altes Wissen (von Aristoteles, 384-322 v. Chr.) auch heute noch gut übertragen und einsetzen lässt. Wenn wir die 10 aristotelischen Kategorien oder „Arten der Aussagen“ hernehmen, dann sind diese ein guter Ratgeber für jegliche Situations- oder Problem-Analyse. 
Ich habe diese dazu verwendet, um moderne bzw. zeitgemäße Fragen anzuhängen.

Diese 10 Ebenen lauten:
1. Substanz (ousia); modern übersetzt/gefragt: „Was und wer bin ich im Kern meines Wesens?“

2. Quantität (quantitas) / „Wie viel Raum nehme ich ein im Leben anderer? Wie viel Raum gestehe ich mir selbst zu?“

3. Qualität (qualitas) / „Was bedeutet Lebensqualität für mich (in Zeiten des Sparens, des Mangels)?“

4. Relation (relatio) / „Wie wichtig ist es für mich, wichtiger als andere zu sein?“ (damit verknüpft stellt sich auch die Frage, was man weshalb auf sozialen Medien shared)

5. Wo / Ort (ubi) / „An welchen Orten fühle ich mich wohl; weshalb?“

6. Wann / Zeit (quando) / „Was fange ich mit meiner Zeit an? Denke ich manchmal, ich verschwende Zeit? Wofür wäre diese besser einzusetzen?“

7. Lage / Situation (situs) / „Fühle ich mich mit meinem Lebensstil aktuell wohl? Alles verändert sich ja derzeit! Inwieweit will & muss ich mich mit-verändern?“

8. Haben / Eigenschaft / Besitz (habere) / „Was brauche ich eigentlich wirklich; wovon will ich mich trennen?“ (Grüße an Marie Kondo!)

9. Wirken / Aktivität / Tun (actio) / „Wofür brenne ich? Was bedeutet mir wirklich etwas? Setze ich mich für irgendetwas Sinnvolles ein?“

10. (Er-)Leiden / Passivität (passio) / Interessant, etymologisch betrachtet, dass Leid und Passivität gemeinsame Wurzeln („passiso“) haben. Die Frage ergibt sich hier von ganz allein: „Kann ich mich selbst retten, wenn ich gerade festsitze, überfordert oder gar verzweifelt bin?“

2_ Die letzte Frage zwingt einen - als #Coach und Therapeut - zu einer klaren Antwort. Andere können gute Impulse geben, aus der Passivität kann man allerdings dann am besten herauskommen, indem man selbst etwas tut, sich immer wieder selbst überrascht. Dies geht aber nicht immer, manchmal kommen wir eben nicht weiter, die Gedanken spinnen sich wie eine Spirale (und damit auch uns) nach unten. Unser Gehirn spielt dabei ein trügerisches Spiel mit uns. Hier kommt Platon (428 v. Chr.) ins Spiel, der schon in antiken Zeiten feststellte, dass die Wirklichkeit ein Schein ist. Insbesondere unseren sinnlichen Wahrnehmungen sollten wir nicht trauen (und damit auch nicht unseren bewusst erlebten Gefühlen; denn diese basieren auf eben solchen Wahrnehmungen).
Eine wahrlich revolutionäre Einsicht!

Mittlerweile belegt das die Forschung auf unzählige Weisen. Unser autobiografisches Gedächtnis ist fehleranfällig. Es gibt eindeutig so etwas wie Schein-Erinnerungen. Unser Ich ist (nach Gerhard Roth) eben kein bewusst agierender Akteur, sondern ein bestimmter Bewusstseinszustand, zu einer bestimmten Zeit.

3_ Bedeutungen werden somit konstruiert. Kommunikations-ExpertInnen kennen das: Es gibt keine direkten Austausch von Informationen. Eher muss man von Anregungen sprechen, die den jeweils anderen dazu bringen sollen, eine passende Konstruktion von Bedeutungen vorzunehmen. Letztlich erzeugt unsere Stimme Schalldruckwellen, die das andere Gehirn als sprachliche Laute identifiziert und interpretiert. Diese Interpretation hängt jedoch immer davon ab, welche bereits vorhandenen Bedeutungen bei der anderen Person vorhanden sind.

4_ Interessant dabei ist, dass dies für alle Wahrnehmungen, (unbewusst stattfindenden) Prozesse und Interpretationen gilt. Das, was wir bewusst (in uns) wahrnehmen (an Gefühlen, diversen Eindrücken), ist eine retrospektive Interpretation eines unbewusst stattgefundenen Prozesses. Was wir somit wahrnehmen, sind Lesarten, die unser Cortex herstellt. Anders gesagt: Wir erhalten nur diese nach-gezogenen Interpretationen, nie das Original.
Bevor es nun „zu neurobiologisch“ und trocken wird, kommen wir zu der Frage, wie wir uns selbst zu möglichst klarem Denken bringen - sodass wir ein „gutes Leben“ führen können. 

5_ Hier sind wir wieder bei Aristoteles. Für ihn steht das Glück im Zentrum eines „guten Lebens“. Glückseligkeit („Eudaimonie“) ist für Aristoteles das höchste Ziel in diesem Zusammenhang. Leicht gesagt, schwer zu erreichen. Das weiß auch Aristoteles. Deshalb erwähnt er, dass Glückseligkeit ohne entsprechende Tugenden nicht zu erreichen ist. Die wesentlichen sind für ihn: Klugheit (phronesis), Gerechtigkeit (dikaiosyne), Tapferkeit (andreia), Mäßigung (sophrosyne), Freigebigkeit (eleutheriotes), Hilfsbereitschaft (megaloprepeia), Seelengröße (megalopsychia), Sanftmut (praotes), Wahrhaftigkeit (aletheia), Höflichkeit (eutrapelia) und Einfühlsamkeit.

Insgesamt kein schlechter Leitfaden für ein faires Miteinander, und für die eigene Persönlichkeitsentwicklung.

6_ Interessant dabei ist, dass Aristoteles den Begriff der „Weisheit“ nicht anführt. Platon (der ursprüngliche Lehrer von Aristoteles in der „Platonischen Akademie“) führt hingegen vier Haupttugenden an: Besonnenheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit - und eben: Weisheit. Nachdem wir in Zeiten leben, in denen Weisheit der Menschheit auf vielen Ebenen verloren gegangen ist, lohnt es sich, darüber zu reflektieren.

7_ „WEISHEIT“. Hm – was soll das eigentlich sein? Wikipedia gibt eine trockene Definition: „Weisheit bezeichnet vorrangig ein tiefgehendes Verständnis von Zusammenhängen in Natur, Leben und Gesellschaft sowie die Fähigkeit, bei Problemen und Herausforderungen die jeweils schlüssigste und sinnvollste Handlungsweise zu identifizieren.“

Nur nebenbei: Die Göttin der Weisheit war Athena, ausgerechnet gleichzeitig die Göttin der „geschickten Kriegsführung“. Vielleicht richten wir daher einen moderneren Blick auf das Thema. Dieser Blick sollte sich wieder auf die oben genannten Tugenden von Aristoteles richten. Denn Hilfsbereitschaft, Seelengröße, Höflichkeit und Mäßigung, all das sind wohl Eigenschaften, die heute und morgen wieder mehr Bedeutung erlangen sollten. Oder?

#weisheit  #coaching  #psychotherapie  #kommunikation

Admin - 17:52:13 @ Allgemein | Kommentar hinzufügen

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